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Das geschätzte BMVI (Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur) beglückt in regelmäßigen Abständen auch uns Radfahrer – nein, natürlich nicht mit einer grundlegenden Änderung der Verkehrspolitik, sondern mit (Kapellmeister, einen Tusch!) einem neuen Flyer.
Beim Layout wurde auf den ersten Blick auf Ausgewogenheit geachtet – jeweils gleich große Kästen für Radfahrer und Autofahrer, darunter eine Zusammenfassung, begleitet von einem Cartoon.
Leider gilt die Ausgewogenheit nur auf den ersten Blick. Die Kästen werden dafür genutzt, humorig vermeintliche gegenseitige Vorurteile zu beschreiben, die Zusammenfassung folgt leider dem altbekannten, ärgerlichen Muster; hier sucht man die Ausgewogenheit vergeblich.
Fakten und Meinungen vermischt
Es werden sowohl Fakten als auch Meinungen präsentiert, ohne, dass klar wird, was was ist. Zum Beispiel wird mit keiner Silbe erwähnt, dass das Gesetz das Nebeneinander-Fahren nicht an Straßentypen bindet, sondern nur an den Tatbestand der Behinderung.
Im Text steht aber:
In verkehrsberuhigten Bereichen dürfen Sie neben Freund oder Freundin fahren, denn die Schrittgeschwindigkeit macht das Überholen durch Autos unmöglich. Dasselbe gilt für
Fahrradstraßen oder in einer Tempo-30-Zone, wenn die Radfahrer entsprechend schnell sind.
Es wird also suggeriert, dass es außerhalb von 30er Zonen oder Fahrradstraßen generell nicht erlaubt ist. So schürt man Konflikte. Das könnte jetzt ein ungewollter Ausrutscher sein, dieselbe Art der Formulierung ist mir aber schon an anderer Stelle aufgefallen. Es scheint fast so, als würde versucht, hier einen Konsens zu erzeugen, ohne das Gesetz explizit anfassen zu müssen.
Suggestive Formulierungen und warme Empfehlungen
In dem ganzen Flyer stehen gesetzliche Vorschriften und warme Empfehlungen nebeneinander. Und die warmen Empfehlungen sind sehr stark aus der Autofahrerperspektive. Das lässt sich erkennen, wenn man die gewählten Formulierungen genauer ansieht.
Das ist recht subtil gemacht. Und bevor mir einer Verfolgungswahn unterstellt,eine Fangfrage zur Erläuterung:
Was wirkt stärker, wenn ich sage „Für einen Bundesverkehrsminister ist Ausgewogenheit und die Vertretung der Interessen aller Verkehrsteilnehmer Pflicht“ oder „Herr Dobrindt, ich fordere Sie auf, die Interessen aller Verkehrsteilnehmer gleichermaßen zu vertreten!„?
Ersteres sagt: Machen Sie eh, und wir beide wissen das. Letzteres enthält unterschwellig, er hätte es bis jetzt nicht oder nicht ausreichend getan.
Behalten wir das im Hinterkopf und schauen wir uns den Text über Abbiegesituationen an:
„Für Pkw-Fahrer sind Abbiegesituationen oft sehr unübersichtlich. Im
sogenannten toten Winkel ist ein Radfahrer trotz der Außenspiegel
manchmal nicht zu sehen. Als geradeaus fahrender Radfahrer sollten
Sie daher unbedingt Blickkontakt mit dem Pkw-Fahrer suchen. So
schaffen Sie Abstimmung und Sicherheit. Für Autofahrer ist der
Schulterblick Pflicht. Radfahrer sollten bei einer unklaren Situation
auf ihre Vorfahrt verzichten und an einer Ampel versuchen, vor oder
hinter dem Pkw zu stehen, um gut gesehen zu werden.“
hübsch..
„Für Pkw-Fahrer sind Abbiegesituationen oft sehr unübersichtlich.“
Für Radfahrer sind sie oft tödlich. „Für Pkw-Fahrer sind Abbiegesituationen oft sehr unübersichtlich„. Kann keiner was dafür…
Wollen wir einmal klarstellen: Ein Abbiegeunfall ist in 99% der Fälle eine Vorfahrtsverletzung durch den KFZ-Fahrer.
Ich lese allerdings genau einen kurzen Satz in Richtung der Autofahrer, und der ist auch noch sprachlich neutralisiert. „Für Autofahrer ist der Schulterblick Pflicht„, aber „Du, Radfahrer, musst dies… Und du solltest das…“..
Das setzt sich nach dem gleichen Muster gleich auf der nächsten Seite fort:
„Wenn Sie abbiegen möchten, kündigen Sie dies rechtzeitig und deutlich an. Dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen – so steht es in der Straßenverkehrsordnung. Als Radfahrer geben Sie Handzeichen und informieren so über einen anstehenden Fahrtrichtungswechsel.
Vermeiden Sie ein plötzliches, unangekündigtes Abbiegemanöver, um sich und andere nicht zu gefährden. Neben dem Handzeichen sollte auch auf dem Fahrrad der Schulterblick den Abbiegevorgang einleiten. Für den Pkw-Fahrer gilt dasselbe: Schulterblick und frühzeitiger Blinker sind zwingend notwendig.“
„Als Radfahrer geben Sie…“ (direkte Ansprache) gegen „Für den Pkw-Fahrer gilt dasselbe: Schulterblick und frühzeitiger Blinker sind zwingend notwendig.“ – Verallgemeinerung, sprachliche Abschwächung. So kommuniziert man, wer in der Pflicht ist, sein Verhalten zu überdenken. Die Ansage Richtung Autofahrer: „Das mussten wir einbauen, damit es nicht gar so einseitig wirkt“, die Zielrichtung ist klar.
Das geht den ganzen Flyer hindurch weiter. Aussage: Wenn Dir auf dem Rad was passiert, bist du selber schuld, denn Du hast dich nicht an unsere Empfehlungen gehalten. Verhaltensempfehlungen in Richtung der Autofahrer kommen spärlich und sprachlich verklausuliert. Die sind wegen der political correctness drin, die Intention des Flyers ist klar.
Fazit
Eine ärgerliche Angelegenheit und eine verschenkte Gelegenheit, wieder einmal. Umso unverständlicher, dass der BDR (? seit wann interessiert sich der für Verkehrspolitik?) und der ADFC sich dafür hergaben.
Mir ging es beim Lesen des Flyers ähnlich wie dem MucradBlogger. Aber scheinbar ist man als Alltagsradler einfach zu zimperlich :-) (mich eingeschlossen)
Von einer Behörde, die der Herr Dobrind führt, gibt es m.E. nicht anderes zu erwarten. Ich denke aus diesem Grund haben auch der ADFC und der BDR ihr OK gegeben.
Gut heiße ich es jedenfalls nicht. Eine Klarstellung der Rechten und Pflichten im Straßenverkehr mit Blick auf die statistischen Hauptverursacher von Unfällen mit Personenschaden kann Deutschland mehr als gebrauchen. Ob es der Durchschnittsdeutsche versteht, ist eine andere Frage. Und unserer Autolobby dürfte so etwas definitiv nicht gefallen – wer hätte denn dann noch Freude am Fahren?. Wer weiß, wieviel readktionelle Arbeit der KFZ Lobby in diesem Flyer steckt?
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Ich vermute nicht mal Absicht. So was kommt einfach heraus, wenn man die Autofahrerperspektive inne hat, ein ähnlicher Effekt läßt sich beobachten, wenn man mit eigentlich gutmütigen Polizisten redet. dies stehen ja auch nicht auf der Gehaltsliste von ADAC und VDA.
Ich bin sogar überzeugt, dass der Texter im Glauben ist, sehr neutral gewesen zu sein.
Es hätten nicht unbedingt Statistiken sein müssen, es wäre durchaus möglich gewesen, das faktentreu, neutral und trotzdem nicht gar zu trocken zu formulieren.
Argern tut mich nur: Wenn man schon mitarbeitet als ADFC, könnte man auch genau hinsehen. Und fallweise schlicht das Logo verweigern, ohne ist der Flyer bedeutend weniger wirksam. Es mangelt am Selbstbewußtsein.
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Hier ärgerst Du dich aber schon ein wenig zu Unrecht. Den Flyer habe ich mir vor ein paar Wochen angeschaut – „nett“ gemacht, zugegeben, aber ich lese hier v.a. ganz viele Verhaltenshinweise und -richtigstellungen für Autofahrer. Natürlich wäre es wirkungsvoller, zu jedem Punkt gleich noch den entsprechenden StVO-Passus anzufügen, aber erst einmal ist der Flyer ein Tippel-Schrittchen in die richtige Richtung: Autofahrer, aufgepasst! Ihr seid nicht die Könige der Straße.
Ok, es gibt zuviel Wischi-Waschi zwischen Vorschrift und Meinung, das stimmt. Aber der Fahrradhelm wird (natürlich sinnfrei) z.B. nur einmal erwähnt: das ist doch auch schon mal was … ;-)
Einziges Problem: Dieser Flyer wird wieder großteils von Radfahrenden wahrgenommen und wohl kaum von der eigentlichen Zielgruppe, den Autofahrern.
Sinnvoller wäre es natürlich, endlich die KFZ analog zu Tabakwaren zu bekleben: 2/3 der Lackfläche für Emissionswerte plus Schockbilder von Unfällen und Unfallopfern. Damit der Fetisch endlich mal vom Kopf auf die Füße gestellt wird.
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Das sehe ich anders, aus den im Artikel genannten Gründen. Es hätte nichts dagegen gesprochen, statt der etwas sinnfreien „Klischeekästen“ zwei gleich große Sektionen zu machen: Autofahrer, so sollte ihr euch verhalten/Radfahrer, so solltet ihr euch verhalten. Das ist jetzt im Fließtext und besteht zu 80% aus „guten Ratschlägen“ an die Radler. „Opfer zu Tätern machen“ ist vielleicht zu krass ausgedrückt, aber es wird kein Zweifel daran gelassen, wer eigentlich alles richtig macht, und wer sein Verhalten anpassen soll – unabhängig von Recht und Vorfahrt.
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