Schlagwörter
Altstadttraverse, Kampfradler, Lindwurmstrasse, Ludwigstrasse, München, Polizei, Polizei München, Radlbürgermeister, Radlhauptstadt, Radlrambo, Radpolitik, Radweg, Rosenheimer Strasse
Die Münchner Polizei und in Tateinheit die Stadt (Hatten wir da nicht mal einen Bürgermeister, dem es gefiel, sich „Fahrradbürgermeister“ zu nennen? Das muss lang her sein.) blasen wieder mit Hilfe der Lokalpresse ins sattsam bekannte Radl-Rambo-Horn. So weit nichts neues, werdet ihr sagen.
Aber es gibt interessante Details. Laßt uns die mal genau ansehen und ein paar Fakten dazu werfen.
Als Auslöser dient eine so genannte „Welle von Radunfällen“, die derzeit angeblich unsere schöne Stadt heimsucht. Genannt werden, je nach Schmierblatt-Faktor des berichtenden Presseorgans, eine Handvoll Unfälle mit Radfahrerbeteiligung. Was bei keinem Blatt fehlt, ist die Erwähnung dieses tödlichen Unfalls.
Fakt ist: Bei dem genannten Unfall war die Radfahrerin schuldlos. Es handelte sich um das leider allzu typische Unfallbild „Abbiegender LKW-Fahrer übersieht vorfahrtsberechtigten Radler auf dem Radweg“. Genauso wie bei diesem Unfall, und bei diesem. Diese traurige Reihe lässt sich beliebig fortsetzen.
Diesen Unfall als „Beleg“ dafür zu verwenden, dass Radfahrer undiszipliniert sind und deswegen die Unfallzahlen steigen, ist ebenso pietät- wie geschmacklos. Eine Verhöhnung des Opfers.
Es wird seit Jahren von Unfallforschern und Verkehrsspezialisten auf diese Gefährdungssituation hingewiesen. Münchens Strassenbaubehörden und die Polizei sehen deswegen keine Notwendigkeit zur Abkehr vom Dogma der „Verkehrstrennung“, die eben genau an den Schnittstellen zum motorisierten Verkehr versagt.
Die Polizei sagt: „Seit zehn Jahren steigt die Zahl der Unfälle mit Fahrradfahrern kontinuierlich an, parallel dazu natürlich auch die Zahl der Opfer: Im Jahr 2002 etwa verletzten sich rund 1800 Radfahrer, 2011 über 2200“
Fakt ist: Was die Polizei nicht sagt, ist: 2002 hatte München 10% Radverkehrsanteil, 2012 18-20%. Es hat sich also bei einer Verdoppelung der Radfahrer die Unfallzahl nur um 22% erhöht.
Fakt ist: Es ist ein bundesweiter Trend. 2011 stieg die Zahl der Verkehrstoten erstmals seit zehn Jahren, und zwar um satte 7%. Allerdings war es nur in München die Schuld der Radler.
Fakt ist: 2012 ist der Trend bereits wieder rückläufig und im Moment sieht es so aus, als könnten die Zahlen von 2010 wieder erreicht werden.
Die Polizei sagt:
Leopoldstraße [..] rund um die Universität, [..] Lindwurmstraße, Ludwigstraße, Rosenheimer Straße, Residenz- und Dienerstraße – das seien die unfallträchtigsten Wege für Radler“
Fakt ist: All diese Problemstellen sind seit Jahren bekannt, ohne, dass dort irgend etwas passiert wäre. Die Ludwigstrasse besitzt eine Breite von gut 60-70m, und davon stehen den Radfahrern, die an der Stelle der Stadt weit über 20% des Verkehrs ausmachen, (beide Seiten zusammengezählt) 3m zur Verfügung. Die Altstadttraverse durch Residenz- und Dienerstrasse ist seit Jahren ein ungelöster Problempunkt. Die Stadt weiß davon, eine Lösung wurde auf -na was wohl?- genau, nach der nächsten Wahl verschoben.
Die Polizei sagt: „…bei Rotlicht über die Ampel fahren, das sind die häufigsten Vergehen der Radlrowdys und auch die häufigsten Ursachen für Unfälle.“
Fakt ist: Rotlichtvergehen von Radfahrern haben im vergangenen Jahr 58 Unfälle mit Verletzten verursacht, das ist weniger als 1% aller Unfälle mit Verletzten. (Quelle: Polizeibericht München 2011)
Die Polizei sagt: „Es besteht Handlungsbedarf“
Das kann man nicht leugnen. Was man allerdings bezweifeln kann, ist der Weg, den die Polizei in Verbindung mit der Stadt München einschlägt. Man setzt nämlich auf verstärkte Überwachung. Der Radler natürlich.
Fakt ist: Eine verstärkte Überwachung der Radfahrer (Aktion „gscheid radeln“) hat schon 2011 nichts gebracht ausser, dass die „Radlrambo“-Presse was zum Schreiben hatte, die Effekte wurden durch die witterungsbedingt schwankenden Radfahrer-Zahlen überlagert.
Fakt ist: Was etwas gebracht hat, nämlich eine feinere Überwachung der Auto- und LKW-Fahrer wie Anfang dieses Jahres, („Im Frühjahr startete die Münchner Polizei ihre Radl-Kampagne und schaute zunächst den Auto- und Lastwagenfahrern in punkto Verkehrsverhalten auf die Finger. [..]Tatsächlich reduzierten sich bis Ende Juni erstmals seit Jahren die Unfallzahlen mit Radfahrern.“) wird nicht fortgesetzt.
Fazit: Eine sinnvolle Lösung des Konflikts ist so lange nicht in Sicht, solange sich Bürgermeister und Polizei auf die billigen und scheinbar einfachen Lösungen stürzen. Solange kein vernünftiges, umfassendes Verkehrskonzept umgesetzt wird. Da helfen keine auf „Radl-Rambos“ angesetzten Einsatzhundertschaften und keine Bereitschaftspolizeieinsätze (GSG9, USK und der Verfassungsschutz hatten wohl keine Zeit?).
Was helfen würde: Die Radfahrer als Teil des Verkehrs wahrnehmen und nicht als Störfaktor. Sie ernst nehmen. Vielleicht nähmen dann auch mehr Radfahrer die Regeln ernst.
Mit der jetzigen Stadtregierung und der jetzigen Polizeiführung besteht da allerdings wenig Hoffnung.
„Was helfen würde: Die Radfahrer als Teil des Verkehrs wahrnehmen und nicht als Störfaktor. Sie ernst nehmen. Vielleicht nähmen dann auch mehr Radfahrer die Regeln ernst.“
Dieses Rechtsverständnis wundert mich schon ein wenig. Die StVO ist kein Wunschkonzert und sie gilt – ob der Radler es nun will oder nicht. Auf die Spitze getrieben kann man dann ja sagen solange die Autos böse und die Stadt keine Radwege baut, fahr‘ ich halt bei rot. Tolle Logik – von den Autofahrern Rücksicht verlangen, aber selbst alle Regeln ignorieren. Ich sehe aus dem Auto und vom Rad aus viel mehr Radfahrer mit einer Rot-Schwäche als Autofahrer… komisch…?
Und noch was… wenn schon mit Unfallzahlen argumentiert wird: dann die 200 plus X von Geisterradlern 2011 verübten Taten nicht vergessen. Erst letzte Woche wieder 2 schwerverletzte Radler.
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Das hat nichts mit Rechtsverständnis zu tun. Ich schreibe nicht, dass die Radfahrer das Recht haben, regeln zu brechen.
Ich sage: Man erwartet von den Radfahrern, alle Regeln minutiös einzuhalten, aber wenn es darum geht, sie als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer zu behandeln, schaut es ganz düster aus.
Es gibt für alle Verkehrsteilnehmer Stellen und Situationen, in denen die Regeln widersinnig sind. Dazu zählen Ampelschaltungen, Verkehrsführungen, Geschwindigkeitsbeschränkungen, etc.
Wenn eine stangengerade Strasse auf Tempo 70 reglementiert ist und alle darauf zu schnell fahren, gibt es wütende Presseartikel über Polizeiabzocke, und der CSU-Abgeordnete startet eine Anfrage, ob man da nicht 100 machen kann. Passiert auch in 30er-Zonen, in Weilheim hat eine Stadträtin mal im Selbstversuch ermittelt, dass es nicht möglich war, langsamer als 45 zu fahren. Da wird das Schild hinterfragt.
Wenn man eine Ampel hat, an der viele Radler bei rot fahren, ohne, dass da jemals ein Unfall passiert, stellt man eine Bereitschaftspolizeistaffel auf, mit roten Kärtchen und Verkehrsbelehrung und so weiter.
In München gibt es im Jahr 6500 Unfälle mit Verletzten. 20+ am Tag. Das heißt, dass in Deiner letzten Woche 140 Unfälle mit Verletzten passiert sind. Und gelesen hast Du… von den zweien, wo Radler schuld waren. Die anderen sind „Business as Usual“. Da war niemand schuld. Autofahrer „dürfen“ Unfälle verursachen.
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Schon nicht ganz falsch, dass auch Radfahrer sich an die StVO halten sollten. Blöd nur, dass diese Aussage auf ALLE Verkehrsteilnehmer zutrifft. Sie meinen gar nicht, wie oft Radwege Parkplätze werden, wie oft Radfahrer vom Radweg geschossen werden, weil Autofahrer § 1 StVO vernachlässigen, oder wie oft Fußgänger meinen dass Radwege nur ein Fußweg mit Streifen sind. Das ist das schöne, man kann allen Verfehlungen vorwerfen. Nur auf keiner Verkehrsteilnehmergruppe wird von den Medien so gerne rumgetreten wie auf Radfahrern. Klar, die stellen immer noch eine Minderheit da, mit denen kann mans machen. Wann haben Sie das letzte mal die Schlagzeile „XY-Stadts Polizei macht Modbil gegen Tempo- Rowdys und Überhol-Rambos hinter Windschutzscheiben!“ gelesen? Es ist so einfach auf Randgruppen einzudreschen, aber objektive Berichterstattung ist ja nicht notwendig. Solange emotionalisiert werden kann, ist ja alles in Ordnung.
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Es wäre ja schon mal schön, wenn sich die Behörden auch an die für sie geltenden Vorschriften für die Beschilderungen und Verkehrsführungen für Radfahrer halten würden.
Einfach mal ’ne Autobahn voll zu sperren, ohne das anzukündigen oder eine Umleitung einzurichten, das habe ich noch nicht erlebt.
Aber die Residenzstraße am Odeonsplatz, wo am Tag mehr als 10 000 Radler vorbeifahren, die wird wegen des Klassikkonzerts mal eben so gesperrt…
Sowas ist es doch, was gemeint ist, wenn man fordert, den Radverkehr endlich ernst zu nehmen. Jede Behinderung wird gerechtfertigt, denn „der Radfahrer kann ja auch mal absteigen und schieben.“ Klar, nur wenn das alle 200m n jeder Baustelle der Fall ist, dann ist es vielleicht doch gerechtfertigt, zu sagen, der Radverkehr werde nicht ernst genommen.
Wie gesagt: Nicht nur der Radfahrer sollte sich an die StVO halten, auch die Behörden sollten sich dran halten (und die zugehörige Verwaltungsvorschrift).
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an der Rosenheimer Straße, Höhe der Einmündung Balanstraße hat die Stadt vor kurzer Zeit ein neues Ende des Radweges konstruiert. Dieses halte ich für kriminell und es hat auch schon einer Radfahrerin das Leben gekostet. Man sollte nicht behaupten, die Stadt tue nix, sie macht explizit das Falsche.
An ettlichen Stellen könnte die Stadt ohne jedes Problem die Radwege abschaffen oder zumindest die Benutzungspflicht aufheben. Das passiert ja wohl auch schon, aber das Umdenken geht doch sehr sehr langsam!
Allerdings muss auch gesagt werden, dass ich jetzt schon zweimal sehr freundlich von Polizisten auf mein Rad angesprochen wurde. Freundlicher Schnack und ehrliches Interesse. Die allermeisten Autofahrer, Fußgänger, Radfahrer und sonstige Verkehrsteilnehmer schaffen es miteinander freundlich und nett umzugehen. Es wäre eine Schande, wenn die Stadt und manche Polizeioberen das Gegeneinander befeuern, anstatt das Miteinander und die Fairness zu fördern und zu beachten.
PS: ab ersten September gelten die Fußgängerampeln für Radfahrer nicht mehr. Man sollte dann mal versuchen die Radfahrerampeln HINTER der Kreuzung zu kippen. Ohne Fußgängerregelung sind sie mEn unsinnig. Man müsste ja mitten auf der Fahrbahn halten, ein Scherz, oder?
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Fahre fast täglich über eine dieser im PS beschriebene Ampeln und wurde erst vor 2 wochen fast übersehen. Hatte der Sache noch nie getraut und immer vermutet, dass von dieser Regelung kaum jemand weiß. Z.B: der Mensch, der mich fast umgefahren hat. „Ich solle doch für meine eigenen Sicherheit auf die Autofahrer achten und stehen bleiben…“ Musste hier einfach raus! Danke für’s lesen.
Maria
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Die selbsternannte Radlhauptstadt steckt lieber sehr viel Geld in eine unsinnige Werbekampagne (München sucht den Radlstar etc.) um möglichst hip zu erscheinen, als sich konsequenterweise den tatsächlichen Bedürfnissen zu widmen, nämlich der Pflege und des Ausbau des Radverkehrsnetzes und zwar auf eine Art und Weise, dass der Radverkehr in nicht der MIV (motorisierter Individualverkehr) davon profitiert.
Es gibt schon wesentlich mehr radelnde Verkehrsteilnehmer als das bestehende Radverkehrsnetz verkraften, aber man mit genügend PR-Maßnahmen kann man bestehende Defizite anscheinend überdecken. Nach der langen Radlnacht steht der/die Velonaut(in) dann wieder im Radlstau und benötigt drei Grünphasen um die Von-der-Tann-Strasse zu überqueren.
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Bei uns in Köln sieht das so ähnlich aus, die große „Mobilmachung“ haben wir schon -für die Presse und öffentlichkeitswirksam- hinter uns. Konsens und Wirkung sind ähnlich wie bei Euch … und daran wird sich auch nichts ändern, solange in den Köpfen der Polizei und Stadtoberen Verkehr=Kfz ist und diese Mentalität so (an die Gelegenheitsradfahrer) kommuniziert und damit anerzogen wird.
Schlimm, daß Polizei und Presse so lasch mit den Statistiken umgehen und gut, daß mit Dir jemand das ganze kritisch hinterfragt und dabei auch belegen kann – mach das weiter so und vor allem: mach das öffentlich!
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Ich hab erst mit einem von unserer Polizei telefoniert, von wegen Statistiken. Die werden von Seiten unserer Polizei nicht wirklich ausgewertet. Zwar wir abgeklappert zu wie viel Prozent jeder Verkehrsteilnehmerart am Unfall schuld ist, aber wie viel davon tatsächliche Unfälle mit *anderen* Verkehrsteilnehmerarten sind, das wissen die wohl selbst nicht, weils sie bisher nicht genug unteressiert hat, das abzufragen. Muss ich mich selbst durch die Statistiken vom statistischen Landesamt wühlen, weil woanders her kriegt man das nicht. Weil sinngemäß: Da könnte ja jeder daher kommen, was das Arbeit macht. :-/
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Das stimmt nicht ganz, die Polizei in München wertet durchaus Radunfälle auch nach Unfallgegnern aus, im „Lagebild ungeschätzte – ähh, ungeschützte – Verkehrsteilnhmer“, ist gerade am Freitag für das Jahr 2011 herausgegeben worden:
Klicke, um auf lagebild-ungesch__tzte_vteilnehmer_2011_internet.pdf zuzugreifen
(Tabelle auf Seite 14).
Aber leider ist die Auswertung nur für diejenigen Unfälle, bei denen der Radler schuld war!
Das gibt leider keinen sinnvollen Überblick über die Situation, denn man weiss halt gerade nicht, bei welchen Unfalltypen und in welchen Kombinationen wer schuld ist. Wenn man das nicht weiss, kann man natürlich nicht gezielt etwas gegen die Ursachen tun….
Ich habe das auch schon gegenüber der Polizei München angemahnt, mal sehen, ob das was bringt. Die Polizei hat dieses Jahr aktiv feedback zur Nützlichkeit ihrer Unfallstatistik gesucht, vielleicht bringt es daher wirklich etwas, da kritische Anmerkungen zu machen.
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Da seid ihr Münchner ja richtig langsam. Bei uns in Augsburg ist schon lange wieder „Rowdy“-Jagdsaison:
http://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Erste-Kontrollen-Stadt-macht-gegen-Radl-Rowdys-mobil-id20119881.html
Hier darf auch der allseits beliebte Schuldzuweiser nicht fehlen. Interessant ist auch immer wieder, wie gerne martialische Begriffe verwendet werden. „macht mobil“, „Hundertschaften“. Immer der gleiche Müll.
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„Mobilmachung“… ja ja, der Feind lauert überall.
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